Mit müden Schritten verlasse ich den fast leeren Interregio 36 am Flughafen Zürich. Meine persönliche Zugbegleiterin verabschiedet mich freundlich. Die Tatsache, dass heute nur wenige Zugpassagiere anwesend sind, scheint sie nicht zu kümmern. Abwesend in Gedanken begebe ich mich an mein nächstes Ziel: den Busbahnhof. Die Flughafenpolizei dreht ihre Runden. Es scheint, als ob das Beamtentum durch die Pandemie eine neue Dimension von Nutzlosigkeit erreicht hat: Sie drehen meditativ ihre Runden und stehen still und beobachten die Umgebung, welche genau so still zu stehen scheint.
Der Passagier-Rückgang beträgt 90% womit der Flughafen Zürich, einst unser Tor zur Welt, zum Tor zur unerfüllten Sehnsucht mutiert ist. “Wir werden immer Fliegen” oder “2021 wird alles normal sein” haben sie gesagt, die weisen Wirtschaftspropheten. Ich stehe inmitten der Realität und sehe, wie alles stillsteht. Auch ich stehe still. Meine Zwangs-Freizeit verbringe ich auf meinem stillstehenden Hometrainer und während meiner Zwangs-Ferien geniesse ich die Sonne «Balkoniens». Dieser Ort steht übrigens auch still. Immerhin freuen sich meine Nachbarn auf ihrem Balkonien über meine sozial distanzierte Gesellschaft. Ob mit oder ohne Corona, sie sind ohnehin glückliche Balkon Potatoes.
Im Bus 768 in Richtung Werft treffe ich einige meiner Leidensgenossen. Ihre Gesichter scheinen abwesend zu sein, in Gedanken verloren. Vielleicht denken sie wie ich darüber nach, wie die einst verführerischen Worte wie “Flugzeug” und “Swissair” irgendwie verblasst sind. Aufgrund der Schutzmassnahmen und der Tatsache, dass am Flughafen nicht mehr viel Betrieb herrscht, arbeiten maximal 50% der Flughafen-Mitarbeiter in zwei Schichten.
Mittlerweile bin ich in der Umkleide angelangt und ziehe mich um. Normalerweise höre ich jeden Morgen Enrico, wie er auf Italienisch vor sich hin trällert. Er singt gut und zauberte mir durch seine Gesangseinlagen immer wieder ein Lächeln aufs Gesicht. Enrico ist heute zu Hause – wir arbeiten nicht in der gleichen Schicht. Die Beziehungen zu Kollegen haben sich in Fernbeziehungen verwandelt. Gewisse Mitarbeiter habe ich seit Monaten nicht mehr gesehen. Die Arbeit ist nicht wirklich notwendig und ist eher zur Beschäftigungsmassnahme geworden. Die Qualitätssicherer sichern im Moment lediglich das Überleben der Firma.
Das einstige Tor zur Welt wurde vom Ort des Abhebens zum Ort des Ablebens. Abgehoben wird nur noch sehr selten, Höhenflüge erleben wir heutzutage lediglich beim Jassen in den vielen Pausen. Gibt es nicht in naher Zukunft wieder mehr Arbeit, sind wir gezwungen, diese schon bald als Langstreckenflüge anzumelden. Ein Hoch auf die Luftfahrt.