Zurzeit herrschen apokalyptische Zustände in Indien: Seuchen, Covid-19 und Heuschreckenschwärme plagen das Land. Das Gesundheitssystem droht zu kollabieren. Hinzu kommt ein Grenzkonflikt: Eine Eskalation an der Grenze mit China endet tödlich und verschärft den Konflikt zwischen den beiden Ländern. Indiens Krisenpotenzial im Überblick.
Tödliche Seuchen und Covid-19
Hierzulande kennen wir Infektionskrankheiten wie Beulenpest, Lepra, Tollwut, Tuberkulose und Typhus kaum mehr. In Indien hingegen sterben jedes Jahr hunderttausende Menschen daran. Gründe dafür sind Armut und die damit verbundene Unterernährung, das Zusammenleben von Bauern und Tieren auf engem Raum und mangelhafter Impfschutz. Seit dem Regierungsbeschluss in den neunziger Jahren wurde die Förderung des öffentlichen Gesundheitswesens stark reduziert. Die Gesundheitseinrichtungen können die indische Bevölkerung nicht genügend versorgen. Mit dem neuen Covid-19-Virus und dem anstehenden Monsun, welcher Cholera, Malaria und Dengue mit sich bringt, steht Indien vor einer Gesundheitskrise. Bezüglich Corona handelte Indien verglichen zu anderen Ländern früh. Die Ausgangssperre wurde bereits am 25. März 2020 verhängt. Allerdings begannen massenhaft Wanderarbeiter zu Fuss oder in überfüllten Zügen und Bussen in ihre Dörfer zurückzukehren. Dies hatte unzähligen Ansteckungen zur Folge. Beispielsweise im Bundesstaat Odisha wurden 80 Prozent der Infektionen dadurch ausgelöst.
Experten sprechen in Indien von einer sogenannten «Patchwork-Epidemie». Das bedeutet, dass verschiedene Regionen unterschiedlich stark betroffen sind. Durchschnittlich sind die Fallzahlen in den Städten Delhi, Mumbai und Ahmedabad vier- bis fünfmal höher als in andere Regionen. Anstatt von einer Indien-Epidemie sollte vielmehr von einer Delhi-, einer Mumbai- und einer Ahmedabad-Epidemie gesprochen werden. Um die medizinischen Ressourcen je nach Bedarf schnellstmöglich von einer Region in eine andere transportieren zu können, muss Indien seine lokalen Gesundheitssysteme ausbauen.
‘Swarmageddon’ – Heuschreckenschwärme bedrohen die Nahrungsversorgung
Wirbelstürme und Hitzewellen ziehen über Indien, die hohe Anzahl von Coronavirus-Infektionen führte zu überfüllten Krankenhäusern, Millionen von Menschen verlieren aufgrund des Virus ihre Arbeitsplätze. Die Monsunzeit steht kurz bevor und darüber hinaus haben einfallende Heuschreckenschwärme das Potential, die landwirtschaftlichen Gebiete Indiens in einen Nahrungsengpass zu treiben. Aufgrund von überdurchschnittlich warmem Wasser im Indischen Ozean kam es vor einigen Monaten zu starken Regenfällen in Ostafrika und auf der Arabischen Halbinsel. Diese Regenschauer bildeten ideale Bedingungen für Wüstenheuschrecken. Ganze Schwärme bewegten sich von Afrika über den Nahen Osten und Pakistan nach Indien. Ein Schwarm kann täglich bis zu 160 Kilometer zurücklegen und gleichviel Nahrung wie 35’000 Menschen verzehren. Durch das Coronavirus erschwerte sich das Eindämmen der Heuschrecken. Bisher wurden Drohnen und Pestizide eingesetzt, um der Plage ein Ende zu setzen. Die Beamten müssen jedoch im Hinblick auf die Monsunzeit noch aggressiver vorgehen, denn «wenn Schwärme angreifen, werden keine Ernten stehen gelassen», wie Dr. Hari Chand Sharma, ein indischer Insektenforscher und Agrarwissenschaftler, erklärt.
China – Indien
Die beiden Atommächte Indien und China streiten sich seit dem Waffenstillstand 1962 im Himalaja um eine Grenze, die es nie gegeben hat. Kein einziger Schuss fällt am 15. Juni im Galwan-Tal, dennoch müssen 20 Inder und mindestens 35 Chinesen ihr Leben lassen. Es ist eine von vielen, regelmässigen Prügeleien an der indisch-chinesischen Grenze. Mit Steinen und Stöcken bewaffnet kommt es auf über 4’200 Metern Höhe zur ersten tödlichen Eskalation seit 1975. Seit dem Grenzkrieg 1962 befinden sich die beiden asiatischen Giganten Indien und China in einem Waffenstillstandsabkommen entlang des 3440 Kilometer langen gegenwärtigen Grenzverlaufes.
Der Grund für das Gefecht ist unklar. Im Mai steigerten sich die Anzahl der Zusammenstösse zwischen gegnerischen Soldaten zunehmend, beide Seiten verlegten Tausende von Truppenangehörigen an die umstrittene Grenzlinie (Demarkationslinie). Möglicherweise fühlten sich die Chinesen vom Strassenbau der indischen Armee im Galwan-Tal auf indischem Territorium provoziert.
Am 23. Juni beschliessen die Aussenminister aus Indien, China und Russland, als Vermittler, einen Truppenabzug beider Seiten aus dem betroffenen Gebiet, um die Lage unter Kontrolle zu bringen. Zwei Wochen später wird der Entschluss umgesetzt: Chinesische und indische Truppen ziehen sich 1,8 Kilometer von der Konfliktzone zurück.
Innenpolitisch fordert die indische Bevölkerung seit dem Ereignis vom 15. Juni vermehrt den Boykott von chinesischen Produkten. Am 29. Juni verbietet Indiens Regierung Tiktok und 58 weitere chinesische Apps, welche «der Souveränität und Integrität Indiens, der Verteidigung Indiens, und der Sicherheit des Staates und der öffentlichen Ordnung schaden». Die Regierung vermeidet zwar von «chinesischen» Apps zu sprechen, aber klar wird trotzdem: Das Ende des Konflikts ist noch nicht absehbar.